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Gerade linke und sozialdemokratische Parteien haben sich das Thema Gerechtigkeit auf die Fahnen und ins Parteiprogramm geschrieben. Über hundert Jahre haben sie für Gerechtigkeit zwischen den Ständen und unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, den sogenannten Klassen, gekämpft. Auch den christlich-sozialen, konservativen Strömungen war der Begriff der Gerechtigkeit durchaus ein Anliegen, wenn dieser auch oft nicht so ganz mit den linken Ideen konform ging.

Heute, wo es in westlich-demokratischen Gesellschaften zwar nach außen hin eine rechtlich normierte Gerechtigkeit, die auch Gleichberechtigung oder Nicht-Diskriminierung genannt werden kann und die im verfassungsrechtlich gewährleisteten Gleichheitssatz ihren Ausdruck findet, gibt, ist genau diese Linke etwas müde geworden sich weiter (vertieft) um das Thema Gerechtigkeit zu kümmern. Dass dieses alte Thema zugleich das zentrale Zukunftsthema ist, darf genau deshalb nicht übersehen werden. Das Bedürfnis nach Gerechtigkeit ist heute so aktuell wie schon vor hundert Jahren. Nahezu alle wichtigen politischen Diskussionen drehen sich im Grunde um das Thema Gerechtigkeit. Allen voran steht hier sicher das Thema Verteilungsgerechtigkeit.

Gibt es aber auch Gerechtigkeit in der Politik selbst?

In diesem Sinne sollte man fragen, ob es eine allgemeine und nicht interessengeleitete Politik gibt oder ob Politik immer mit einer Abwägung zwischen unterschiedlichen Interessen arbeiten muss. Das führt auch zu der Frage, ob es gerecht ist nur die Interessen eines bestimmten Teils der Bevölkerung zu vertreten? Und weiter, kann gerechte Politik Erfolg haben oder erfordert das politische System immer, dass einer auf Kosten des anderen verliert? Und hat schließlich das Streben nach moralischer Gerechtigkeit, wie sie Plato und Aristoteles als übergeordnetes Ziel für jeden guten politischen Führer definiert haben, noch Platz in unserem politischen System? Wie sieht also eine politische Kultur aus, die Gerechtigkeit im Handeln belohnt und Ungerechtigkeit straft?

Gerechtigkeitsempfinden hat auch immer damit zu tun, wem oder was gegenüber sich der Bewertende verbunden oder verpflichtet fühlt. Es ist also auch eine Frage der jeweiligen Ideologie. So werden Gerechtigkeitsthemen wie die Einführung einer Frauenquote in Vorständen oder Parteigremien oder einer Jugendquote bzw die verpflichtende Anstellung von behinderten Menschen auch unterschiedlich beurteilt werden, je nachdem von welcher ideologischen Seite man sich nähert. Auch die bereits älteren politischen Gerechtigkeitsthemen wie das Verhältnis zwischen Arm und Reich oder zwischen Arbeitern und Angestellten sind noch lange nicht entschieden.

Wenn es nun um die Politik selbst geht, wird einiges noch heikler. Wie schaut denn Gerechtigkeit im (partei-)politischen Alltag aus? Sind unsere politischen Systeme als solches gerecht? Gibt es genügend Arten und Formen der Mitbestimmung für alle? Wird Einsatz für das Gemeinwesen oder für die Partei ausreichend belohnt? Wie schaut Gerechtigkeit aus, wenn zwar einerseits das Volk der Souverän ist, andererseits aber die Finanzmärkte unter dem Diktat der Notwendigkeit bestimmen, was die Politik zu tun oder zu lassen hat. Auch die Diskussion um die Sanierung der öffentlichen Haushalte wird oft versachlicht und auf eine vermeintliche „Vernunftebene“ gehoben. Dies passiert dann, indem man diese Fragen an Experten delegiert und somit die Diskussion über die Gerechtigkeitsfrage vermeidet. Diese Vernunftebene kann aber niemals das Gefühl der Ungerechtigkeit verbannen. Auch scheinbar notwendige Maßnahmen können in großem Maß als ungerecht empfunden werden.[1]

Es gibt also viele Fragen, die im Zusammenhang mit Gerechtigkeit in der Politik aufgeworfen werden. Die Antworten sind jedoch spärlicher gesät. Gerechtigkeit kann aber sicher nicht mit Gleichmacherei übersetzt werden. Natürlich hat jeder Mensch seine besonderen Bedürfnisse und muss deshalb auch in der Gerechtigkeitsdebatte als Individuum wahrgenommen werden. Es wird deshalb vor allem wichtig sein jedem ausreichend Möglichkeit zu bieten, sich und seinem Anliegen Gehör zu verschaffen. Das beginnt schon in der Struktur der Demokratie und somit der Gesellschaft aber auch in den Parteistrukturen, die ja häufig von oben nach unten ausgerichtet sind und zieht sich weiter in alle gesellschaftlichen Bereiche. Ein weiterer Punkt ist, dass natürlich im Sinne der politischen Gerechtigkeit die Politik dafür verantwortlich ist, sich nicht Vorteile zu gewähren die andere nicht haben oder niemals haben können. Hier sind wir also beim Thema Korruption angelangt. Das heißt also, dass aktive Korruptionsbekämpfung auch aktive Gerechtigkeitspolitik ist und geeignet ist, Politik gerechter zu machen. Schließlich ist es auch Ausdruck gerechter Politik, wenn auch andere sich nicht nur artikulieren können, sondern auch intellektuell und faktisch in der Lage sind, sich aktiv an allen politischen Prozessen zu beteiligen. Um das sicher zu stellen bedarf es intakter Chancen für jedermann dieselbe Bildung zu erhalten und sich an politischen Wahlen zu beteiligen. Dies findet Ausdruck im oftmals gebrauchten Wort Chancengleichheit. Ohne grundsätzliche Chancengleichheit kann es also auch keine Gerechtigkeit in der Politik geben.

[1] Vgl. Hans-Georg Lorenz, Über Gerechtigkeit in der Politik (11.09.12, 18:53)